CfP: Leviathan-Sonderheft zu Protest

Call for Contributions zu einem Sonderheft des Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft 

Protest in Bewegung? Zum Wandel von Bedingungen, Formen und Effekten politischen Protests 

GastherausgeberInnen: Priska Daphi (Goethe Universität Frankfurt), Nicole Deitelhoff (Goethe Universität Frankfurt), Dieter Rucht (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und Simon Teune (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und TU Berlin)

Der CfP als pdf-Datei hier.


Proteste sind eine zentrale Form politischer Partizipation, in der sich Bürgerinnen und Bürger selbstorganisiert und unmittelbar artikulieren und damit Konflikte sichtbar machen. Zuletzt wurde das durch neue Protestwellen belegt. Indignados, Occupy und Pegida stehen im Vergleich zu den Mobilisierungen der neuen sozialen Bewegungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, aber auch für den Wandel von Protest. Gerade für die kaum verfassten und fluiden Formen politischen Protests ist es wichtig, dessen verändernde Bedingungen, Formen und Effekte zu verstehen.

Die Beiträge in dem geplanten Sonderheft sollen Wandlungsprozesse in Politik, Wirtschaft und Kultur in Bezug auf Protest reflektieren und damit den Blick für eine veränderte Protestlandschaft schärfen. Sie können theoretisch orientiert oder empirisch fundiert, idealerweise diachron und/oder synchron vergleichend angelegt sein. Der geographische Schwerpunkt soll dabei auf den Ländern der Europäischen Union liegen.

Die Beiträge des Sonderhefts sollen die unterschiedlichen Dimensionen des Wandels von Protest untersuchen. Das Heft wird hierzu in drei Themenstränge unterteilt. Ein Themenstrang soll sich der Frage widmen, inwieweit sich die Kontextbedingungen für Protest in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten verändert haben. Ein zweiter Strang befasst sich mit der Frage des Formwandels des Protests, während ein dritter Strang die möglicherweise veränderten Effekte von Protest untersucht.

Bedingungen von Protest 
Gesellschaftliche Veränderungen bedingen Protest auf unterschiedlichste Weise. In den Politikwissenschaften sind in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren Stichworte wie Postdemokratie, Mehrebenenregime und Digitalisierung diskutiert worden. Folgt man etwa der These vom postdemokratischen Zustand liberaler Demokratien, die die Volkssouveränität durch die Verlagerung der Entscheidungsfindung und andere Tendenzen ausgehöhlt sieht, so verändert dies auch den Protest. Eine oft geäußerte Annahme ist z.B., dass die Bereitschaft, sich an Protesten zu beteiligen, mit diesen Veränderungen gewachsen ist.

Auch die zunehmende Verschränkung verschiedener territorialer Handlungsebenen verändert die Bedingungen für Protest. Wenn politische Entscheidungen und Regulierungen von Kommune, Land, Nationalstaat und internationalen Regimen sich zunehmend überlagern, so reagieren Protestbewegungen unter anderem mit veränderten Deutungsmustern und neuen Formen der Organisation. In den letzten Jahren waren insbesondere die globalisierungskritischen Bewegungen Ausdruck solcher Veränderungen. Am Beispiel der jüngsten Protestwelle der „Empörten“ wird die Spannung zwischen europäischer und nationalstaatlicher Ebene besonders deutlich, da sich die Kritik in erster Linie auf das Handeln nationaler Regierungen richtet, welche jedoch deutlich von europäischen Regelungen geprägt sind. Auch sind im Kontext der Globalisierung und der mit ihr einhergehenden Veränderungen in Migrationsbewegungen und Ökonomie neue Konfliktlinien identifiziert worden, die Protest beeinflussen. So ist z.B. Migration seit den 1990er Jahren zu einem zentralen Protestthema geworden.

Eine weitere wichtige Kontextbedingung für Protest ist die Digitalisierung der Kommunikation. Mit der enormen Reichweite und Geschwindigkeit des Internets, mit den Möglichkeiten des user generated content sowie den mediatisierten sozialen Netzwerken bieten sich Protestgruppen neue Wege der Mobilisierung bei relativ geringen Transaktionskosten. Davon macht eine Vielzahl von informellen Gruppen und etablierten Organisationen Gebrauch. Zudem sind spezialisierte Kampagnennetzwerke entstanden, die zum Teil Online- und Offline-Proteste kombinieren. Generell zeigt sich, dass Erwartungen und Mechanismen medialer Kommunikation immer stärker die Erscheinungsformen und Inszenierungen von Protest prägen, wobei kommerzielle und öffentlich-rechtliche Medien noch immer eine Schlüsselrolle zu spielen
scheinen.

Formen von Protest 
Vor dem Hintergrund veränderter äußerer Bedingungen und interner Dynamiken lassen sich Veränderungen der Protestformen feststellen. So wurde zum Beispiel in Bezug auf Organisationsformen die wachsende Bedeutung von Netzwerken und Kampagnenarbeit – anstelle dauerhafter und hierarchischer Organisationen – beobachtet. Die Digitalisierung, so lautet eine These, führt zu einer stärker vereinzelten Mobilisierung. Bezüglich der Protestrepertoires wird eine Erweiterung, Modularität und damit flexible Kombination einzelner Taktiken konstatiert. Speziell das
Internet eröffnet eine Reihe neuer, teilweise niedrigschwelliger, teilweise aber auch voraussetzungsvoller Formen des Protestes, die bis zu illegalem hacktivism reichen können. Offen ist dabei, ob das Protestvolumen insgesamt zunimmt oder sich lediglich die Techniken der
Mobilisierung verändern. Die verschärfte Konkurrenz um knappe Aufmerksamkeit und andere Ressourcen begünstigt zudem eine Professionalisierung vieler Bewegungsorganisationen und Kampagnen, die auch Auswirkungen auf die Inhalte und Stile der Austragung politischer Konflikte haben dürfte.

Effekte von Protest 
Protest zielt letztlich auf gesellschaftliche und politische Wirkungen. Zur Erforschung der Wege, auf denen politischer Protest diese Wirkungen erzielt – von der Beeinflussung öffentlicher Meinung bis zur Herbeiführung konkreter politischer Entscheidungen –, wurden erste Schritte unternommen. Welche Rolle spielen aber die veränderten Kontextbedingungen und Formen des Protests? Haben Proteste in Zeiten wachsender Skepsis gegenüber den politischen Institutionen und deren
VertreterInnen einen stärkeren Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung? Kommt es mit der zunehmenden Verschränkung lokaler, nationaler und internationaler Handlungsebenen zu einer Verschiebung des Themenkatalogs und der Adressaten von Forderungen? Kann durch die
Nutzung des Internets und die Verbreitung sozialer Netzwerke die öffentliche Agenda nachhaltig beeinflusst und letztlich mehr Druck auf die Adressaten von Kritik ausgeübt werden? Oder werden die Rhythmen der Protestmobilisierung immer kurzatmiger, sodass zwar vorübergehende
Beachtung, aber kaum langfristige strukturelle Effekte erzielt werden? Diese Fragen verlangen nach empirisch fundierten Antworten, die im dritten Teil des Sonderheftes zusammengefasst werden.

Die GastherausgeberInnen bitten interessierte KollegInnen um die Einsendung einer kurzen Zusammenfassung (maximal 450 Wörter) des geplanten Beitrags bis zum 3. Juli 2015 (per Email an Simon Teune (teune(at)ztg.tu-berlin.de)).